Meine Kompositionen entstehen aus einer tiefen Beschäftigung mit dem Wesen von Klang, Zeit und Form. Ich verstehe Musik als eine Wissenschaft der Schwingung, ein Dialog zwischen Natur, Physik und Emotion. Die „Fehler“, die wir in komplexen Rhythmen oder Mikrointervallen zu erkennen glauben, sind in Wahrheit Türen zu neuen Räumen.

 

 

 

 

Das Leben als Symphonie und der Butterfly-Effekt in der Musik

 

Jedes Werk, das ich komponiere, ist im Grunde eine Fortsetzung des vorherigen. Die Zeitspanne zwischen meinem ersten und meinem letzten Werk wird am Ende die Symphonie meines Lebens sein. Und deshalb ist es an der Zeit, Ihnen ein kleines Geheimnis zu verraten: Wenn Sie genau hinhören, werden Sie feststellen, dass in einem meiner Werke verwendete musikalische Motive oder Passagen in einem späteren Stück wieder auftauchen. Ich habe das zu einer bewussten Methodologie gemacht.

 

Warum ich so komponiere? Weil eine Melodie während des Kompositionsprozesses oft in viele verschiedene Richtungen streben möchte. Doch weder wir Menschen noch Musik oder ein physisches Objekt können zur gleichen Zeit an mehreren Orten und in unterschiedlichen Formen existieren. Um diese Begrenzung zu überwinden, habe ich einen eigenen Weg gefunden: Ein kleines Motiv oder eine Melodie, manchmal nur ein paar Töne, wird zu einem Schlüssel, der im nächsten Werk eine neue Tür öffnet.

Diese wiederkehrende Melodie entfaltet sich also weiter, sie öffnet neue Räume, bringt neue Assoziationen hervor. Mal ist sie Ausgangspunkt einer Harmonie, mal das Zentrum eines rhythmischen Gefüges, manchmal nur ein Schatten im Hintergrund. Aber sie ist da, spürbar. Und genau das nenne ich den Butterfly-Effekt in der Musik.

 

So wie ein Flügelschlag eines Schmetterlings auf einem Kontinent eine Sturmfront auf einem anderen auslösen kann, so kann ein kleines musikalisches Fragment die Struktur eines ganz anderen Stücks prägen. Es bedeutet, mit Zeit ebenso wie mit Klang zu komponieren. Die Melodien wandern nicht nur innerhalb eines Stücks, sie bewegen sich zwischen den Stücken. Jedes ist Echo, Vorbote oder Konsequenz eines anderen. Und so werden all meine Werke , genau wie mein Leben ,zu einem zusammenhängenden, lebendigen Organismus.

 

 

Die Methodologie meiner Werke – Zwischen musikalischer Anomalie und kosmischem Prinzip

 

Viele wissen es nicht: Die makambasierte Musiktheorie ist sowohl auf harmonischer als auch auf melodischer Ebene eine wahre Anomalie. Die in einem Makam verwendeten Mikrointervalle zeigen, dass der melodische Verlauf nicht nur von den Tonhöhenabständen (Intervallen), sondern auch von deren emotionaler und funktionaler Bedeutung geprägt ist. Das ermöglicht etwa die Existenz zweier unterschiedlicher Dominantzentren oder autonomer melodischer Strukturen, die sich dennoch um denselben Referenzpunkt gruppieren können. 

Die Struktur der makambasierten Musik weist verblüffende Parallelen zur physischen Realität des Universums auf. Schwarze Löcher, Wurmlöcher und andere kosmische Anomalien sind Ausdruck von Abweichungen in der Geometrie des Raumes. Schwarze Löcher sind das Resultat extremer Krümmungen im Raum-Zeit-Kontinuum und einer abnormen Verdichtung von Energie. In ähnlicher Weise schaffen die mikrotonalen Übergänge und Modulationen zwischen verschiedenen Makams eine flexible Tonalität, die es der melodischen Struktur erlaubt, sich ständig neu zu organisieren.

 

Ein weiterer Vergleichspunkt ist das Konzept der Singularität. Im Zentrum eines Schwarzen Lochs befindet sich eine Singularität – ein Ort, an dem die physikalischen Gesetze ihre Gültigkeit verlieren und theoretisch unendliche Dichte herrscht. Ähnlich funktioniert der Zentralklang (etwa der „Karar“) eines Makams: Er zieht alle melodischen Bewegungen an, wie eine autonome Singularität. Selbst wenn sich die Musik in modulierten Zonen entfernt, kehrt sie am Ende stets zum Zentrum zurück, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.

 

Diese Anomalien und Anziehungspunkte in Musik wie Physik sind, so glaube ich, der Schlüssel zum Verständnis von Kreativität. Schwarze Löcher markieren die Grenzbereiche von Expansion und Kontraktion im Universum – ebenso fordern mikrotonale Übergänge und modale Beziehungen in der Musik die formale Struktur ständig heraus. Beides bewegt sich am Rand von Ordnung und Wandel und schafft dabei Räume jenseits des Bekannten.

 

In diesem Sinne bieten die Anomalien der makambasierten Musik dem Künstler einen Raum radikaler Freiheit. Wie Schwarze Löcher ermöglichen sie es, über bestehende Systeme hinauszugehen und neue Strukturen zu formen. Anomalien sollten, wie im Universum, als Instrumente für positive Transformation verstanden werden. Musik ist, genau wie die physikalischen Gesetze des Kosmos, ein Produkt des dynamischen Gleichgewichts zwischen perfekter Ordnung und schöpferischem Chaos.

 

Ataç Sezer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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